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07.01.2018

Facebook-Kommentar von Heinz-Jürgen Krug

#theytoo: Politischer Missbrauch - Humboldt, Weber, Habermas und Prof. Steinberg

Da ich bei der Stadtverordnetenversammlung zur Amtseinführung des neuen OB Udo Bausch wegen Krankheit nicht dabei sein konnte, habe ich mich über die Zusendung des Redemanuskripts von Prof. Rudolf Steinberg (hier zum Aufrufen) durch das Büro des Stadtverordnetenvorstehers gefreut.
Mit einem Zitat von (Wilhelm von) Humboldt zu beginnen scheint immer gut, also zitiert Prof. Steinberg (aus W.v.Humboldt ‚Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen‘ , Kapitel II):
+ + + +
Der wahre Zweck des Menschen — nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt — ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung.
+ + + +
Dass den Herrn Humboldt die ach so „unveränderliche Vernunft“ in der gleichen Abhandlung als Kriegsverherrlicher und Befürworter der Monarchie hervortreten lässt, braucht uns in der Kommunalpolitik ja nicht zu interessieren:
+ + aus W.v.Humboldt ‚Ideen …‘, Kapitel V + + +
Allein diese Anwendung wird hier um so weniger unnütz sein, als ich mich allein auf die Wirkung des Krieges auf den Charakter der Nation und folglich auf den Gesichtspunkt beschränken werde, den ich in dieser ganzen Untersuchung als den herrschenden gewählt habe. Aus diesem nun die Sache betrachtet, ist mir der Krieg eine der heilsamsten Erscheinungen zur Bildung des Menschengeschlechts, und ungern seh ich ihn nach und nach immer mehr vom Schauplatz zurücktreten.“ (schade für Humboldt, dass er das 19. und 20. Jahrhundert mit wahrlich intensiven Aktivitäten zur Bildung des Menschengeschlechts nur noch teilweise bzw. garnicht erleben konnte)
+ + aus W.v.Humboldt ‚Ideen …‘, Kapitel VI + + +
Allein in unsren monarchischen Verfassungen existiert — und gewiß zum nicht geringen Glück für die Bildung des Menschen — eine solche bestimmte Form ganz und gar nicht. Es gehört offenbar zu ihren obgleich auch von manchen Nachteilen begleiteten Vorzügen, daß, da doch die Staatsverbindung immer nur als ein Mittel anzusehen ist, nicht soviel Kräfte der Individuen auf dies Mittel verwandt zu werden brauchen als in Republiken. Sobald der Untertan den Gesetzen gehorcht und sich und die Seinigen im Wohlstande und einer nicht schädlichen Tätigkeit erhält, kümmert den Staat die genauere Art seiner Existenz nicht.
+ + + + + 

Auch Ernst Forsthoffs „Der Staat der Industriegesellschaft“ (1971) wird - wenn auch ohne Quellenangabe - zitiert: „So lebt der moderne Mensch nicht nur im Staat, sondern auch vom Staat. Der Verlust des beherrschten Lebensraums und der mit ihm gegebenen Daseinsreserven setzt ihn dem Staate aus.“ Dass, wie Berthold Vogel in „Die Staatsbedürftigkeit der Gesellschaft“ vor genau diesem Forsthoff-Zitat schreibt, das so ist, weil solche „gestaltenden staatlichen Eingriffe“ geradezu „Funktionsvoraussetzungen moderner, rechtsstaatlich verfasster (Industrie-) Gesellschaften“ sind, fällt bei der Zitatauswahl unter den Tisch.
Mit Bill Clinton könnte man Prof. Steinberg also zurufen „It’s the Industriegesellschaft (economy)“.
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Einschub: Dass Ernst Forsthoff nicht als Zitatgeber genannt wird, könnte daran liegen, dass er in seinem „Der totale Staat“ von 1933 sich vornahm „Hier soll versucht werden, aus dem Sinn der Geschichte, aus den Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts und den Ereignissen der neuesten Zeit heraus das Ziel der nationalsozialistischen Revolution in dem totalen Staat zu fixieren“ und diese Fixierung erforderte, dass der zum Feind gewordene Jude „als solcher unschädlich gemacht werden mußte“
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Bei Prof. Steinberg ist es aber nicht die „economy“ der Industriegesellschaft (oder mit einem anderen Autor die „der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“), sondern ein „lenkender, leistender, umverteilender Sozialstaat, mittlerweile auch Umweltstaat“ der zu zunehmender Bürokratisierung führt. Und die hat bekanntlich schon der berühmte Max Weber, wie Steinberg ausführt, als „Gehäuse der Hörigkeit“ gekennzeichnet, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Hat er das? Am Ende von „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ schreibt er, die in das Berufsleben übertragene mönchische Askese habe geholfen „jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden - nicht nur der direkt ökonomischen Erwerbstätigen - mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie »ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte«, sollte nach Baxters Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden.“ Tatsächlich: Kapitalismus/Wirtschaftsordnung/ökonomische Voraussetzungen … Bill Clinton.
Jetzt hilft wohl nur noch ein Zitat eines Vertreters, den Prof. Steinberg auf der Gegenseite (und das ist für den ehemaligen Präsidenten der Uni Frankfurt offenbar – siehe unten – die Frankfurter Schule und ihre kritische Theorie) verortet. Also wird Jürgen Habermas, „einem Nachfahren der Frankfurter Schule“ unterstellt, dass er „die vielfache Warnung vor dem ‚Bevormundungsstaat‘ heute“ teilt. Dazu schreibt Steinberg, Habermas beklage (heute) die „Einäugigkeit“ des sozialstaatlichen Projekts, dem ein Widerspruch zwischen Ziel und Methode innewohne. So überziehe ein immer dichteres Netz von Rechtsnormen, von staatlichen und parastaatlichen Bürokratien den Alltag der potentiellen und tatsächlichen Kunden. Nun stammt Habermas‘ Text über die Zwiespältigkeit des sozialstaatlichen Projekts allerdings aus dem Jahr 1985 und heute (z.B. November 2016) schreibt er an gegen „sowohl den Status quo des verwilderten Finanzmarktkapitalismus wie das Programm des „völkischen“ oder des linksnationalen Rückzugs in die vermeintliche Souveränität längst ausgehöhlter Nationalstaaten“ und gegen die „Tolerierung der langfristig wachsenden sozialen Ungleichgewichte“ . Aber schließlich kann man sich seine Zitate (un)passend aussuchen und eine kleine Ungenauigkeit von 32 Jahren ist in historischer Sicht vernachlässigbar.

Eine gewisse Flexibilität ist neben der Zitatauswahl zuweilen auch bei der durch die „unveränderliche Vernunft“ gezogenen Grenzen der Staatseingriffe notwendig um Schlimmes zu verhindern. So hatte doch 2002 der Fachbereich Soziologie der Uni Frankfurt zweimal Alex Demirovic, einen Vertreter der kritischen Theorie der Frankfurter Schule (https://de.wikipedia.org/wiki/Alex_Demirovi%C4%87 ) auf Platz 1 der Berufungsliste für eine Professur gesetzt. Doch dem damaligen Uni-Präsidenten Rudolf Steinberg gelang es im Bunde mit dem staatlichen hessischen Wissenschaftsministerium dies zu verhindern.

 

 

 

   
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